Sind medizinische Studien gekauft?
Ich denke, diese Zusammenhänge sollte man kennen, wenn man von Studienergebnissen hört, speziell von denen, auf die sich Schulmediziner in Rechtfertigung auf Behandlungsvorschläge beziehen:
„Wissenschafter stehen unter einem beträchtlichen Publikationsdruck, um ihre akademische Stellung und die Finanzierung ihrer Projekte zu sichern. Daher besteht die berechtigte Sorge, dass sie «ungünstige» Ergebnisse absichtlich unterschlagen und sich auf Resultate konzentrieren, die ihre Veröffentlichungschancen erhöhen. Ausserdem wird immer deutlicher, dass viele Forscher selbst die einfachsten Methoden, mit denen sich Fehler bei der Interpretation medizinischer Versuchsreihen eingrenzen liessen, nicht beherrschen.“
Dieser Absatz entstammt aus einem Artikel der NZZ mit dem Titel „Geschönt, geschlampt, gelogen.“
Wir wollen in der Folge beleuchten, warum der wichtigsten „Sponsor“ von Krebsstudien , nämlich die Pharmaindustrie, oft nicht einmal als solcher sichtbar wird.
Bereits 2009 hatte die Abteilung für Gesundheit der Universität von Michigan eine Metastudie durchgeführt, wo man untersuchte, wie transparent mit der Angabe von Studienfinanzierungen umgegangen wird. Der Titel dieser Metastudie lautet: „29 Prozent der Krebsstudien melden schwerwiegende Interessenkonflikte.“
Zusammenfassung der Erkenntisse:
Fast ein Drittel der Publikationen zu Krebsforschung, die in anerkannten Zeitschriften veröffentlicht wurden, offenbarten einen Interessenkonflikt, das sagen Forscher des Comprehensive Cancer Center der University of Michigan.
Die häufigste Konfliktart war die Finanzierung der Studie durch die Industrie, die in 17 Prozent der Publikationen zu sehen war. Zwölf Prozent der Veröffentlichungen hatten einen Studienautor, der in einem Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber stand. Randomisierte Studien mit gemeldeten Interessenkonflikten hatten eher positive Ergebnisse.
In anderen Worten: sie wurden geschönt.
Ist also ein Grossteil der medizinischen Studien gekauft?
„Wir müssen uns überlegen, wie wir die Krebsforschung und die Interessen der Pharmaindustrie künftig besser trennen können„, sagt Studienautorin Reshma Jagsi, M.D., D.Phil., Assistenzprofessorin für Radioonkologie an der U-M Medical School.
Die Forscher untersuchten 1.534 Krebsforschungsstudien, die in renommierten Zeitschriften veröffentlicht wurden. Ergebnisse dieser aktuellen Studie erscheinen online in der Zeitschrift Cancer.
„Wir haben Grund zur Annahme, dass Personen mit Interessenkonflikten entweder bewusst oder unbewusst in ihren Analysen voreingenommen sind. Als Forscher haben wir die Pflicht, die Daten objektiv und unvoreingenommen zu behandeln. Das gelingt nur, wenn kein Naheverhältnis zwischen Auftraggeber und Forschenden besteht„, sagt Jagsi.
Zum Beispiel könnten Wissenschaftler von der Pharmaindustrie finanzierte Studien so gestalten, dass sie mit höherer Wahrscheinlichkeit zu günstigen Ergebnissen führen. Sie veröffentlichen möglicherweise auch eher positive Ergebnisse als negative, was auch wiederum eine Verzerrung darstellt, weil unerwünschte Effekte einer Therapie einfach nicht beleuchtet werden.
„Angesichts dieser Erkenntnisse sollten wir als Gesellschaft vielleicht überdenken, wie wir unsere Forschung künftig finanziert und gesteuert haben wollen. Vor allem in den letzten Jahren war es sehr schwer, Forschungsgelder von unabhängiger Stelle zu erhalten. So war es naheliegend, dass sich Wissenschaftler an die Industrie wandten. Wenn wir die Gefahr der Voreingenommenheit minimieren wollen, müssen wir andere Quellen der Unterstützung ausbauen. Medizinische Forschung ist letztlich ein gemeinsames Unterfangen, das der gesamten Gesellschaft zugute kommen soll und nicht einzelnen Unternehmen.“ sagt Jagsi.
Für die Meta Studie bezüglich Befangenheit der durchführenden Forscher wurden alle klinischen Krebsstudien untersucht, die 2006 in fünf Top-Zeitschriften für Onkologie und drei Top-Zeitschriften für allgemeine Medizin veröffentlicht wurden. Die eingeschlossenen Zeitschriften waren das New England Journal of Medicine, das Journal of the American Medical Association, Lancet, das Journal of Clinical Oncology, das Journal des National Cancer Institute, Lancet Oncology, Clinical Cancer Research and Cancer.
Die Artikel wurden analysiert, um die angegebenen Finanzierungsquellen und Interessenkonflikte zu ermitteln. Ein Interessenkonflikt wurde dann erkannt, wenn er entweder von den Autoren ausdrücklich erklärt wurde, ein Autor zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein Angestellter der Industrie war oder die Studie von der Industrie gefördert wurde.
Eine wesentlich neuere Publikation aus 2018 kommt zu dem Schluss, dass die Dinge immer weiter aus dem Ruder laufen.
Sie trägt den Titel:
„Fehlende finanzielle Offenlegung bei der Veröffentlichung klinischer Studien„
(Oregon Health & Science University 30. August 2018)
Hier die Zusammenfassung dieses Papiers:
Ein erheblicher Teil der Zahlungen der Pharmaindustrie an Autoren klinischer Onkologiestudien, die in großen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden, bleiben im Dunkeln.
Dies trifft vor allem auf klinische Studien zu, in denen neue Krebsmedikamente getestet wurden!
Die neuen Erkenntnisse werden als Research Letter in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlicht.
Die Autoren des Forschungsbriefs untersuchten die sogenannte Open Payments Database, um die Zuwendungen seitens der Industrie an forschende Onkologen zu ermitteln.. Anschließend wurde überprüft, ob die Autoren die Finanzierung ordnungsgemäß offenlegten. Das Ergebnis: Rund die Hälfte des Studienbudgets blieb im Dunkeln!
„Es ist eine Zwickmühle„, sagte Co-Autor Erick Turner, MD, außerordentlicher Professor für Psychiatrie an der OHSU School of Medicine. „Die Zeitschriften fordern die Autoren zwar auf, die Finanzierung offenzulegen, haben aber keine Handhabe, wenn dies ignoriert wird.“
Es habe sich gezeigt, dass Zahlungen von Pharmaunternehmen die Verschreibungspraxis von Ärzten beeinflussen, stellten die Forscher fest.
Anmerkung des Autors: Man kann davon ausgehen, dass dies nicht zum Nachteil der als Sponsoren auftretenden Firmen passiert.
„Wir wissen, dass Pharmaunternehmen Medikamentenstudien sponsern. Das ist keine Überraschung„, sagt Hauptautor Cole Wayant, DO, Ph.D., Forscher an der Oklahoma State University. „Aber was besorgniserregend ist, ist, dass diese Finanzierungen bei der Veröffentlichung klinischer Studien nicht transparent offengelgt werden. Immerhin bilden diese die Grundlage von FDA-Zulassungen und Leitlinien für die klinische Praxis.“
Und wer denkt, dass die Zuwendungen der Pharmafirmen auf Aufwandsentschädigungen und Honorare beschränkt ist, könnte die nächste Überraschung erleben. Allein zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 31. August 2017 erhielten die 344 Onkologen-Autoren insgesamt 216 Millionen US-Dollar in vier Kategorien:
– Vortragshonorare und andere allgemeine Zahlungen;
– Recherche zur Studienkoordination;
– Forschungsstipendien und
– Eigentum durch Aktienzahlungen
Die Autoren verglichen dann die Offenlegung finanzieller Interessenkonflikte in klinischen Studien, die in sechs einflussreichen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden: Das Ergebnis: Fast ein Drittel der Onkologen-Autoren (insgesamt 110) legte Zahlungen nicht vollständig offen, so die Studie.
Dazu fällt mir, dem Verfasser dieses Artikels ein: „Gibt es überhaupt eindeutige Beweise dafür, dass der moderne Medizinbetrieb auf Heilung und nicht auf monetäre Zwecke ausgerichtet ist?“
Zum Abschluss nochmals ein Zitat aus dem eingans erwähnten Artikel aus der NZZ:
„Ein Forscherteam unter Leitung von An-Wen Chan vom Centre for Statistics in Medicine, Oxford, hat die Originaldaten von über 100 veröffentlichten Berichten über klinische Versuchsreihen unter die Lupe genommen. Das Team suchte nach Hinweisen darauf, dass «ungünstige» negative Ergebnisse in den publizierten Artikeln weggelassen wurden, um die Chancen einer Veröffentlichung zu erhöhen. Bei über der Hälfte der überprüften Versuchsreihen stiessen die Statistiker auf erhebliche Diskrepanzen zwischen den ursprünglichen Zielen der Studie und den berichteten Resultaten, was die Vermutung erhärtet, dass die Forscher einfach ihre Daten nach publizierbarem Material durchkämmt haben.“
Auf der anderen Seite bewirkt die selektive Auswahl von statistisch signifikanten Ergebnissen, dass immer mehr Berichte veröffentlicht werden, in denen beispielsweise über die Entdeckung von Genen berichtet wird, die angeblich mit Krebs oder anderen Krankheiten im Zusammenhang stehen. In den meisten Fällen halten diese „Erkenntnisse“ jedoch unabhängigen Untersuchungen nicht stand.
Über die völlig missverstandene Genetik wird in diesem Artikel eingegangen.
In diesem Artikel wird der Nocebo Effekt beleuchtet.